Die ersten Wochen (Eingewöhnung)
Grundsätzlich können wir sicherlich kein Patentrezept liefern, welches hundertprozentig garantiert, dass jeder Tierschutzhund in ein paar Stunden in jeden denkbaren Haushalt integriert werden kann, sofort alle Befehle versteht und natürlich auf Knopfdruck reagiert. Wer das erwartet, sollte hier aufhören, weiter zu lesen und am besten ganz auf einen Hund verzichten.
Wir können aber sehr wohl Erfahrungen weiter geben, die geholfen haben, den Neuankömmlingen ihr Einleben zu erleichtern. Diese Erfahrungen erheben keinen Anspruch auf Perfektion, sondern werden ständig überprüft und erweitert. Für Anregungen sind wir dankbar.
Erfahrung I: Gib dem Hund Zeit und Ruhe!
Für einen ehemaligen Vermehrerzuchthund bedeutet der plötzliche Umzug von da in den Haushalt in etwa dasselbe, als würde man uns im Schlaf entführen und wir würden am nächsten Tag aufwachen in einem fremden Erdteil oder auf einem fremden Planeten mit fremden Lebewesen, einer fremden Kultur mit anderen Regeln und Normen, einer unbekannten Sprache und einer unbekannten Umwelt mit fremden Gerüchen, Geräuschen und Bildern.
Andere Hunde hatte ein Zuhause, kaman dann ins Tierheim und haben da einen seelischen Bruch erlitten, und müssen erstmal „drüber wegkommen“.
So wie wir Menschen reagieren auch die Tierschutzhunde unterschiedlich auf die Veränderung: Die extrovertierten und selbstbewussten Hunde marschieren los und erkunden neugierig ihre Umgebung, die ängstlichen Hunde reagieren vorsichtig und scheu und würden auch schnappen.
Generell gilt: Der Hund bestimmt das Tempo der Kontaktaufnahme ! Je nach individuell ausgeprägter Stressresistenz wird sich auch die Zeit der Annäherung von Hund zu Hund unterscheiden.
Ungünstig zum schnellen Aufbau einer guten Beziehung von Menschen und Hund ist aber sicherlich folgende Situation: Ein Hund zieht ein und wird sofort von möglichst vielen Erwachsenen und kreischenden Kindern lautstark begrüßt und begrapscht. Genauso ungünstig ist es, wenn während der Anfangszeit lautstarke Feste stattfinden, die den Hund nachhaltig verängstigen oder andere Leute mit Hunden einzuladen.
Am besten fährt man wohl mit der Strategie, den Hund kommen zu lassen und negatives, sprich überängstliches Verhalten nicht durch übertriebene Aufmerksamkeit zu belohnen, und damit zu verstärken, sondern sich so zu verhalten, als wäre alles normal (was es ja auch ist), im Gegenzug positives Verhalten, sprich Annäherung mit sanfter Stimme zu loben und damit zu verstärken. Vertrauen Sie der Natur: Der Hund wird kommen! Er ist ein Rudeltier und kann nicht anders: Er will dazugehören, traut sich nur noch nicht. Und das braucht Zeit. Also: Geduldig und gelassen bleiben !
Nicht ständig locken oder gar an der Leine herumzerren.
Ein Hinweis noch: Zeit und Ruhe geben heißt nicht, den Tierschutzhund lange allein zu lassen. Gerade in der ersten Zeit sollte der Hund einen Ansprechpartner im Haus haben, der ihm die Gewöhnung an die neue Lebenssituation erleichtert.
Erfahrung II: Unsicherheit lässt sich reduziern!
Ein Tierschutzhund, der in eine neue Umgebung kommt, befindet sich in einem Konflikt: Einerseits möchte er dazugehören, andererseits fehlt ihm die Erfahrung, ob und wem man trauen kann. Dieser Widerspruch macht unsicher und in unterschiedlicher Ausprägung vorsichtig und ängstlich. Ziel muss also sein, Unsicherheit abzubauen, Sicherheit aufzubauen und Vertrauen zu schaffen und so die Eingewöhnung zu erleichtern und zu beschleunigen. Vertrauen entsteht durch positive Erfahrungen. Folgende Maßnahmen erleichtern nach unserer Erfahrung dem Hund das Einleben:
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Schlaf bei deinem Hund!
Soll bedeuten: Eine Möglichkeit, dem Hund Gelegenheit zu geben, sich dem/den neuen Menschen zu nähern, ist, die erste Nacht oder die ersten drei Nächte bei dem Hund zu verbringen. Das bedeutet nicht, direkt neben dem Hund zu nächtigen, sondern, im selben Raum zu schlafen. Ein schlafender, ruhender Mensch ist für den ängstlichen Hund bei weitem nicht so bedrohlich wie ein wacher, aktiver, sich bewegender Mensch. Und er bietet die Möglichkeit, sich an den neuen, eigentümlichen Geruch dieses Menschen zu gewöhnen, damit vertraut zu werden. Gleichzeitig macht der Hund die Erfahrung, einen Lebensraum mit dem Menschen zu teilen, ohne dass ihm etwas Negatives widerfährt. Und nicht zuletzt hat das ruhige Atmen während des Schlafens vielleicht auch für den Hund etwas Beruhigendes. -
Beruhige deinen Hund in seiner Sprache!
Hunde benutzen bestimmte körpersprachliche Signale, um potentiell konfliktgeladene und stressreiche Situationen zu entschärfen, die Situation und sich selbst und ihre jeweiligen Partner zu entspannen und so die friedliche Kontaktaufnahme zu erleichtern.
Diese sogenannten Beschwichtigungssignale sind beispielsweise
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Vermeiden eines frontalen Körperkontaktes, Schlagen eines Bogens bei der Annäherung
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Körper wegdrehen, sich umdrehen, Flanke oder Hinterteil zuwenden
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Vermeiden direkten Anstarrens, Blickkontakt abbrechen, Blick abwenden, zur Seite gucken, den Blick verkürzen, die Lider senken, auf den Boden gucken, hastiges Blinzeln
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Kopf abwenden und zur Seite drehen
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(wechselseitiges) Beschnüffeln von Kopf und Hals
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(wechselseitige) Geruchskontrolle am Hinterteil
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hastig über die eigene Schnauze lecken
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demonstrativ auf den Boden legen
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demonstratives und wiederholtes Gähnen
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am Boden schnüffeln
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einen kleinen Stock ins Maul nehmen und damit herum laufen
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generell: langsame Bewegungen statt schnelle
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Spielaufforderung: Vorderkörper tief und vor dem anderen Hund abwechselnd nach links und nach rechts hüpfen
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Welpenverhalten, z.B. von unten kommend mit der eigenen Schnauze die Schnauze des anderen Hundes anstoßen
Kopieren Sie diese Signale, auch wenn man Sie für ein wenig verrückt hält !
Alle Signale kann man natürlich nicht kopieren. Aber einiges kann man versuchen.
Wir haben es oft genug erlebt, dass wir neben einem Pflegehund gesessen haben (nachdem wir uns vorher im Bogen genähert hatten, ohne dem Hund in die Augen zu gucken), der vor Angst starr und eingefroren war. Als wir begannen, dem Hund die Seite oder den Rücken zugewendet, demonstrativ zu gähnen, wurde der Hund ruhiger. Auch schmatzen und wohlig Laute helfen.
Stellen Sie sich einfach einen Moment lang vor, Sie selbst wären in einem fremden Land fern der Heimat. Bekommt es nicht auch für uns eine besondere Bedeutung, wenn wir dort plötzlich in unserer Heimatsprache angesprochen werden ? Denken Sie mal darüber nach.
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Vermeide bedrohliches Verhalten!
Bedrohlich ist für einen Hund ein Mensch, der frontal auf ihn zugeht, den Hund anstarrt, sich aufrecht stehend über den Hund beugt und dessen Hand sich oben kommend dem Kopf des Hundes nähert, wobei der Mensch auch noch in einem lauten und harten Tonfall Worte von sich gibt. Auch die Hand dem Hund entgegenstrecken hat eher negative Auswirkungen, gerade bei kleinen Hunden. Chihuahuas reduzieren ihre Distanz lieber von sich aus, als Kontakt aufgezwungen zu bekommen.
Andere Arten, z.b. Labrador und andere Großhunde nehmen so ein „Fehlverhalten“ wie Hand vors Gesicht strecken eher hin, als manche kleinen.
Bei ängstlichen Hunden: im Bogen nähern, Blick abwenden, in die Hocke gehen, die Hand unten hängen lassen, erst dann seitlich am Hund streicheln oder unter der Schnauze kraulen wenn er es anbietet.
Und noch eine Erfahrung: Manche Hunde, die öfter eingefangen werden mussten, haben eine Abneigung gegen die „Fanghand“, d.h. sie lassen sich häufig leichter und lieber mit der linken Hand füttern, anfassen und streicheln als mit der rechten. Probieren Sie aus, ob auch Ihr Hund eine solche Bevorzugung einer bestimmten Hand hat.
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Schaffe sichere Strukturen!
Sichere Strukturen schaffen bedeutet zum einen, feste Zeiten zu schaffen, und zum zweiten, sichere Rückzugsorte für den Hund zu schaffen.'
Jeder Hund gewinnt Sicherheit, wenn er die Erfahrung macht, dass er immer relativ zur selben Tageszeit sein Futter bekommt und immer zur selben Zeit die Spaziergänge gemacht werden.
Viele Hunde suchen sich bereits kurz nach dem Einzug ihren sicheren Platz. Das kann das Körbchen sein, das kann das Sofa oder das Bett sein, aber auch ein Platz unter dem Sofa oder unter einem Schrank oder Tisch. Dieser Platz kann ein Platz sein, der vom neuen Besitzer akzeptiert wird, aber auch ein Platz, der gegen vorab festgelegte Regeln des Halters verstößt. Für einen neuen Hund gilt die Regel: Einmal verboten ist einmal verboten, einmal erlaubt ist immer erlaubt ! Das bedeutet, entweder Sie akzeptieren den Platz als zukünftigen Ruheplatz des Hundes oder Sie halten den Hund konsequent davon ab.
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Schaffe Anreize zur Erkundung!
Um dem Hund die Erforschung seiner neuen Lebenswelt zu erleichtern, können Sie auch Leckerlies in der Wohnung verteilen, die der Hund dann suchen kann. Dabei lernt er spielerisch die Wohnung oder das Haus kennen.
Dies setzt voraus, dass kein zweiter Hund vorhanden ist, der dem Neuankömmling das Futter klaut, bevor der es entdeckt hat, und der dabei dick und rund wird. Eventuell provoziert man dann auch Konflikte durch Futterneid. Wenn Sie dies befürchten, am besten getrennt füttern.
Erfahrung III: Keine Panik bei Nahrungsverweigerung!
Genau wie bei uns Menschen kann eine drastische Veränderung der Lebensumstände auch dem Hund vorübergehend auf den Magen schlagen.
Einige Hunde reagieren darauf mit vorübergehender Nahrungsverweigerung. Keine Panik, der Hund wird nicht gleich verhungern und fängt bald wieder zu fressen an. Bedenklicher als das Verweigern des Fressens ist die Weigerung zu trinken. Spätestens am dritten Tag sollte dem Hund mit einer Pipette oder einer Spritze ohne Nadel vorsichtig Wasser zugeführt werden. Um feststellen zu können, ob der Hund trinkt, sollten Sie sich merken, wie viel Wasser Sie in den bereit gestellten Napf gefüllt haben, und den Napf täglich kontrollieren.
Kommt es zu erbrechen oder Durchfall, geben sie Heilerde und Canicur/ Perenterol.
Füttern sie Schonkost (Huhn mit lang gekochten Möhren). Hält der Zustand länger an, gehen sie mit einer Kotprobe zum Tierarzt. Evtl müssen sich nochmals entwurmen oder der Hund hat eine Darmentzündung oder andere Probleme.
Erfahrung IV: Geduldig sein bei der Stubenreinheit!
Je nachdem, wo ihr Tierschutzhund herkommt, kann es sein, dass er keine Stubenreinheit kennt.
Allgemein sind die meisten Hunde nach einem Umzug erst einmal nichtmehr stubenrein.
Haben sie Geduld.
Wie bei kleinen Kindern geht bei dem einen die Sauberkeitserziehung schneller, bei dem anderen langsamer.
Gerade kurz nach dem Einzug kann es durch die Umstellung des Futters kurzzeitig zu Durchfall kommen. Das gibt sich aber schnell.
Gegenmaßnahmen sind die Gewöhnung an feste Essenszeiten und feste Zeiten für die regelmäßigen Spaziergänge. Außerdem wenig Futterwechsel, z.B. ständiger Wechsel zwischen Trocken – und Nassfutter. Eine Erleichterung ist auch ein unkomplizierter Zugang zum umzäunten Garten durch eine Hundeklappe (der Umgang damit muss manchmal trainiert werden).
Vermehrerzuchthunde lebten meist in Käfigen oder im Zwinger. Für sie gibt es kein „draussen“ und „drinnen“. Sie sollten Hinterlassenschaften wegmachen, ohne schimpfen, und nach aussen tragen, an den Ort, wo am besten das Geschäftchen gemacht werden kann.
Es gibt auch Sprays, die zum lösen anregen.
Manche Hunde brauchen eine Puppy matte, weil sie es nicht schaffen, sich draussen zu lösen und gerade das Häufchen meist im Haus machen. Hier kann man eine Puppymatte, ein Hundeklo aufstellen. Jedoch ersetzt dies nicht den täglichen Auslauf. Bringen sie wie bei einem Welpen die Matte näher und näher an die Türe...
Markierverhalten kann man nur unterbinden, wenn man es sieht. Jedoch sieht man es leider nicht immer, denn gerade ängstliche Hunde markiern meist nachts im Haus.
Es hilft ihnen, sich sicherer zu fühlen. Es ist also bei weitem nicht so, dass die dominanten markieren, sondern jeder Hund kann dies aus unterschiedlichen Gründen tun.
Bei Rüden helfen Rüdenbinden (bei mir zu bekommen).
Bei Hündinnen gilt wie bei Rüden: Nichts auf den Boden stellen, was vorher nicht da stand. Gegenstände nicht verrutschen oder umstellen.
Teppiche wegräumen.
Evtl nachts in einer Box schlafen lassen (Tipps zum Training per Email info@chihuahuanothilfe.de) oder mit im Bett, dann merkt man, wenn der Hund aufsteht und pinkeln will.
Erfahrung V: Gassi auf gleicher Strecke üben!
Wenn mich Menschen anschreiben und fragen, was der Hund kann, ob er schon Sitz und Platz kann, muss ich manchmal viel erklären.
Darum nun auch hier:
Gehen sie davon aus, dass ihr Hund gar nichts kann! Gehen sie „vom schlimmsten“ aus.
Viele müssen selbst das Gassi gehen lernen.
Suchen sie sich ein Strecke mit wenig Aussenreizen.
Gehen sie dahin, wo der Hund möchte, vermeiden sie Zug an der Leine, der Hund versteht dies noch nicht und vertraut ihnen evtl noch nicht.
Unter Stress kann ein Hund nicht lernen, nichts aufnehmen und es entsteht evtl ein Angstverhalten.
Auch wenn es ihnen komisch vorkommt, probieren sie das Gassi gehen doch ersteinmal im Garten aus.
Haben sie einen Hund, der nach vorne zieht, zum kläffen neigt, begrenzen sie ihn in der ersten Zeit.
Dauerhafter Zug schadet auch dem Hund und bringt ihm Stress.
Man kann das Problem ohne viel Tam Tam und Stress für beide Seiten lösen: Man läuft einfach vor dem Hund.
Ohne rucken und zerren an der Leine und Kommandos.
Erfahrung VI: Keine Spaziergänge ohne gründliche Sicherung!
Manche Hunde der CN waren Straßenhunde. Andere hatten eine Familie, aber keiner ging mit ihnen Gassi, sie waren auch alleine unterwegs.
Andere lebten auf einem Balkon (so z.b. machen es Spanier, wenn in der Wohnung Hundehaltung verboten ist) oder waren als Vermehrezuchthund in einer Zwingeranlage eingesperrt.
Das stoppen einer Leine und das Gefühl eines Geschirrs können neu für den Hund sein.
Gerade in der ersten Zeit nach dem Umzug in die neue Familie kann der Hund durch seinen mangelnden Umgang mit der Umwelt draußen oder seine noch fehlende Bindung an den Menschen in Lebensgefahr geraten, wenn er weg läuft.
Einfaches Rufen reicht hier meist nicht zum wiedereinfangen.
Also: den Garten gegen Überspringen oder Untergraben der Zäune sichern, beim Spaziergang mit Geschirr und Halsband sichern. Bitte benutzen Sie in der ersten Zeit keine Flexi-Leinen, da der Griff sehr schnell aus der Hand rutschen kann, wenn der Hund los prescht. Eine gut erhaltene Leder- oder Stoffleine sollte gut ums Handgelenk gewickelt werden. Geben Sie in der ersten Zeit auch keinem Kind die Leine in die Hand.
Aufpassen, wenn die Haustür oder die Autotür geöffnet wird. Befestigen sie die Leine als Sicherung irgendwo im Auto bzw an der Box. So können sie auch bei ängstlichen Hunden die Leine immer zur Hand haben.
Bei ängstlichen Hunde empfehlen wir, das Geschirr und die Leine auch im Haus befestigt zu lassen.
So erspart man sich und dem Hund Stress (kein einfangen, festhalten nötig).